Andrea Isa
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Physikalische Grundpraktika
Der Ausstellungstitel „Physikalische Grundpraktika“ ist dem Grundstudium der Physik entlehnt und bezeichnet ein Praktikum, das jede/r Studierende der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät durchläuft.
Die physikalische Grundpraxis, bezugnehmend auf die körperliche Arbeit, die eine Küchenfrau der Mensa täglich verrichtet, sind Tätigkeiten wie Wischen, Scheuern, Befüllen, Stapeln, Ordnen, Heben, Einsammeln, Austeilen etc., also Physik im wahrsten Wortsinn.
Angeregt von meiner eigenen Erfahrung als Küchenhilfe entstanden in einem Zeitraum von etwa drei Jahren eine Anzahl von künstlerischen Arbeiten: Raumcollagen, ein Scherenschnittfilm sowie Porträt-Collagen von Kolleginnen bei der Arbeit, eine Serie, die als "Die Tugenden der Küchenfrau" immer noch fortgesetzt wird.
Die Tugenden der Küchenfrau
Tugend der Belastbarkeit
Tugend der Großzügigkeit
Tugend der Furchtlosigkeit
Tugend der Herzlichkeit
Tugend der Ordnungsliebe
Tugend der Schnelligkeit
Tugend des Zusammenhaltens
Tugend der Geschicklichkeit
Tugend der Sauberkeit
Tugend der Losgelöstheit
Tugend der Harmonie
Tugend der Freundschaft
Tugend der Schönheit
Tugend der Unbestechlichkeit
Tugend der Gewissenhaftigkeit
Tugend der Zuversicht
Tugend der Gemütsruhe
Serie wird fortgesetzt
Wimmelbild
Leuchtkasten mit Schneebesenornament
Animation
Der Kurzfilm „Arbeiterdenkmal“ (entstanden im Rahmen des Onomato-Werkstipendiums 2012) ist ein klassischer Scherenschnittfilm in Stil von Lotte Reiniger. Er zeigt die humorvolle Errichtung eines „Monuments“ für die in der Küche arbeitenden Frauen.
Raumcollagen
Die Raumcollagen, bestehend aus hunderten von einzelnen Fotografien, die von Hand auf bewegliche Tableaus geklebt wurden, zeigen Räume der Großküche, wie die Spülküche, Lastenaufzüge oder Umkleiden. Der zuvor dekonstruierte Raum wird wieder zusammengefügt, wobei sich einzelne Elemente zum Ornament verdichten.
Die Arbeiten werden sowohl im Original als auch vergrößert hinter Acrylglas gezeigt.Siehe hierzu auch: Das Ornament der Arbeit, Andrea Isas Collage-Zyklus „Mensaprojekt" (weiter unten)
Spülmaschine nach der Arbeit, im Original 140 x 53 cm, ca. 1200 Fotos
Spülmaschine bei der Arbeit, im Original 160 x 42 cm, ca. 920 Fotos
Umkleide mit Elisabeth, 132 x 29 cm, ca. 450 Fotos
Ziele
Mein Ausstellungsprojekt zielt darauf ab, das Leben und die Frauen hinter den Kulissen des Mensabetriebes ins Blickfeld zu rücken. Es versteht sich als eine Art Hommage an die Küchenfrau – die für Außenstehende anonyme, wenn nicht sogar unsichtbare Person.
Sie wird mit ihren Attributen gezeigt: den Wagen, Tabletts, Tellern, Eimern und Reinigungsutensilien und ihrem Kittel, der über seine Funktionalität hinaus ein wiederkehrendes visuelles Element darstellt: das Fraktal in einem beweglichen Ornament - dem Ornament der Arbeit.Ich möchte mit dieser Werkgruppe auch die Arbeit als solche feiern. Der tägliche Umgang mit den Gerätschaften und Speisen einer Großküche; die routinierte, freundliche Selbstverständlichkeit, in der sich die Kolleginnen an der Essensausgabe um die Wünsche der Studenten kümmern und nicht zuletzt der Zyklus eines Arbeitstages, von der Vorbereitung über das Ausgeben bis zur Reinigung und Vorbereitung für den nächsten Tag: das Mantra der Küchenfrau.
Das Ornament der Arbeit
Andrea Isas Collage-Zyklus „Mensaprojekt“
von Suria Kassimi, Kunsthistorikerin, M. A.
Kaum ein Denkmodell hat die Kunst der vergangenen 100 Jahre derart bestimmt wie die Collage. Die Erfüllung dreier Eigenschaften entscheidet über die Zugehörigkeit eines Kunstwerks zur Gattung ‘Collage’: Das Material einer Collage muss bereits vor der Erstellung derselben vorhanden sein, die Collage wird demensprechend durch Zusammenfügen des Materials hergestellt und erzeugt schließlich dadurch den Eindruck von Disparatheit.
Andrea Isas Arbeiten sind semantische Collagen, die durch ihre materielle Einheitlichkeit (Fotografie) zunächst ein konstruktives Prinzip in den Blick rücken, welches gleichzeitig gewissermaßen dialektisch vermöge dekonstruktivistischer Mechanismen aufgelöst wird.
Spülmaschine, aus (140 x 53 cm / 1200 Fotos), Spülmaschine bei der Arbeit (160 x 42 cm / 920 Fotos) sowie Umkleide mit Gruß an Vincent (140 x 19,5 cm / 380 Fotos) und Umkleide mit Elisabeth (132 x 29 cm / 450 Fotos) setzen sich vergleichbar etwa den Arbeiten von David Hockneys Picture-Serie der 70er Jahre aus einer Vielzahl von Einzelfotografien zusammen, die aber bei Andrea Isa, auf bewegliche Tableaus geklebt, dem jeweiligen Bild zusätzlich objekthafte Qualitäten zuweisen. Das collagierte Bild wird dergestalt zum Paravent oder Klappaltar. Im Gegensatz zu Hockney variiert auch das Format der jeweilig verwendeten Einzelfotos und verdichtet sich malerisch zu einem irritierenden Ornament. Der besonderen Disparatheit des kleinformatigen Einzelbildes, als Ergebnis einer sehr genauen Raumdokumentation, verdankt sich schließlich die Dekonstruktion der Wirklichkeit eines spezifischen Arbeitsumfeldes.
Fotografiert wird der Umkleideraum für die Arbeiterinnen, gewissermaßen der Übergangsraum von Lebenswelt zu Arbeitswelt (Umkleide mit Gruß an Vincent, 2011, und Umkleide mit Elisabeth, 2011), sowie die Spülmaschine in der Mensa.
Mit dem Motiv der Umkleideschränke setzt die Künstlerin formal auf das Ornament als „rite de passage“, als Übergangsritus im Sinne von Arnold van Gennep (1909) und lässt den engen Raum mit den schmalen Schränken zum Fries wachsen. Das Ornament der farblich kontrastreich gefassten Raumteile wird Ausdruck eines rhythmischen Bewegungsimpulses und vollführt im Rahmen der Collage-Arbeit einen Tanz auf der Fläche. Als bedeutungsvolles Zeichen, das über die Raumordnung spricht, macht die ornamentale Fassung des Raumes nun selber die entscheidende Aussage, ist die Figur auf dem Grund.
Die Collagen Spülmaschine, aus (2011) und Spülmaschine bei der Arbeit (2011) setzen sich aus sorgsam gefertigten fotografischen Dokumenten der industriellen Spülmaschine der Mensa zusammen und entfalten als Subtext eine Erzählung über die rationalistische Funktionsweise des imposanten Apparates. Als für die Bildsemantik disparat erweist sich allerdings das visuelle Muster der mosaikartig zusammengesetzten Einzelfotografien. Die fortlaufende Repetition dieser in sich wechselnden Raumfragmente rückt das Ornamentale in die Nähe von Ritus und Ritual. Das Ornament gewinnt so Symbolwert und Bedeutung und flankiert die Wirkintension der Collagen von Andrea Isa. Kracauers Metapher vom „Ornament der Masse“ hat das Phänomen mit Blick auf Massenveranstaltungen anschaulich beschrieben. Andrea Isas Thema ist klar umrissen und fokussiert hingegen das Ornament der Arbeit. Die ornamentale Information erzeugt durch die entstehenden Muster, Rhythmen und Schwingungen eine spezifisch gedeutete Welterkenntnis. Die Arbeit mit der Spülmaschine generiert ebenfalls ein Ornament, nach dem sich die Menschen formieren. Eine eigene Welt, die beinah surrealistische Züge annimmt und das Mechanistische mit dem Insektengleichen bildlich zu verbinden weiß. Der Gedanke, innerhalb eines technisierten Arbeitsablaufes zur „Arbeitsbiene“ zu werden, liegt mit allen Implikationen nahe.
Collage und Ornament bestimmen die ästhetische Wirkung eines soziologischen Motives und werden bei Andrea Isa innovativ und wie gezeigt auch die Grenzen des jeweiligen Mediums erweiternd eingesetzt. Daraus ergibt sich ein vielschichtiger Referenzrahmen, der hier lediglich in Andeutungen Ausdruck finden konnte.2012